Anna geht ganz allein im Fläming wandern
In Prüfungszeiten wächst in mir regelmäßig das Bedürfnis nach körperlicher Ertüchtigung und das meist in Formen, die ich so aus meinem alltäglichen Leben nicht kenne. Diesen Januar hat mich der Prüfungsstress auf eine neue Idee gebracht: Ich wollte wandern!
Wo, wann, wie und wohin war in dem Moment erstmal egal, Hauptsache raus!
Also fing ich, anstatt zu lernen, zu recherchieren an, wo man denn in der Nähe wandern könnte, denn das war eines der wenigen Details, die mir von Anfang an wichtig waren: ohne viel Aufwand und wenig Kosten! (dass das im Nachhinein natürlich nicht ganz klappen wollte, konnte ich zu der Zeit ja noch nicht ahnen)
Dieser Herzenswunsch nach außerordentlicher Bewegung gemischt mit einem hobbymäßigen Interesse an Geschichte in allen möglichen Varianten brachte mich auf den Burgenwanderweg, der unter den "Qualitätswegen Wanderbares Deutschland" aufgelistet ist.
Nach etappenweiser Planung, die, wie ich im Nachhinein festgestellt habe, auf einem sehr naivem Niveau ablief, da ich ja eine solche Unternehmung noch nie durchgeführt und schon gar nicht geplant hatte, zähen Buchungsanfragen für Übernachtungen, dem Kauf einer teuren, aber guten Wetterjacke und dem Einholen zahlloser Tipps und Ratschläge von Papa, ging es dann endlich los.
So fuhr ich also am Morgen des 12. März erstmal mit dem Zug nach Bad Belzig.
Der Burgenwanderweg ist ein Rundweg im Hohen Fläming südöstlich von Potsdam und umfasst laut Touri-Info 147 km. Er verbindet Burg Eisenhardt in Bad Belzig, Burg Rabenstein bei Raben, Schloss Wiesenburg und die ehemalige Bischoftsresidenz in Ziesar miteinander.
Als ich gegen viertel elf in Bad Belzig ankam, musste ich erstmal bemerken, dass dort mindestens doppelt so viel Schnee lag wie in Berlin, nichtsdestotrotz: Die Motivation kannte keine Grenzen. So gings los Richtung Süden über verschneite Felder auf der ersten Etappe nach Rädigke.
Von den viel gepriesenen Dingen auf dieser Strecke, wie die weiten grünen Wiesen oder Obstbaumalleen, habe ich aufgrund der winterlichen Verhältnisse nichts mitbekommen, dafür wurde mein Grundschulwissen über „Tiere meiner Heimat“ im Laufe der Woche auf die Probe gestellt, indem ich Kraniche, Rehe, Hirsche, Hasen und einen Fuchs erblicken und (teilweise erst im Nachhinein) identifizieren konnte.
Schnell musste ich feststellen, dass meine Vorstellung von dieser Tour doch sehr phantastisch war. Die Hoffnung auf ein Pläuschen am Wegesrand mit anderen Wanderern oder das vergnügte gegenseitige Grüßen, wenn man beim Durchlaufen eines Dorfes auf Einheimische trifft, stellte sich schnell als bodenlos heraus, aus dem einfachen Grund, dass Brandenburg noch in einem tiefen Winterschlaf lag. Wenn ich in ein Dorf kam, war das einzige, was mir entgegen schallte, Hundegebell hinter jedem Tor. Und wenn ich dann doch mal jemanden traf, der mit hochgeschlagenem Kragen von A nach B huschte, wurde ich auf meinen freundlichen Gruß hin nur mit einem verwirrten bis entsetzten Blick belohnt, der mir sehr eindeutig sagte, dass mich hier alle für verrückt hielten, wie ich so mit meinem schweren Rucksack FREIWILLIG durch tiefen Schnee stapfe, anstatt schön daheim am Kamin zu sitzen und darauf zu warten, dass Frühling wird. Und anscheinend war ich tatsächlich die einzige weit und breit, die soo verrückt ist. Die anderen Verrückten, die ich zu treffen gehofft hatte, waren wahrscheinlich irgendwo, wo es ein bisschen spannender im Winter ist als in Brandenburg, zum Beispiel in der Hohen Tatra oder im Elbsandsteingebirge oder in der Türkei. Brandenburg liegt nunmal auf der „Ich-mach-mal-was-verrücktes“-Skala nicht gerade weit oben. Aber wenn man erstmal so allein durch den brandenburgischen Schnee stampft, mit entsetzten Blicken angestarrt wird und einem kurzzeitig mal das große Gesamtbild von all dessen, was man hier grad FREIWILLIG macht, vor Augen geführt wird, rutscht Brandenburg als Winterwanderziel auf der „Ich-mach-mal-was-verrücktes“-Skala plötzlich ziemlich weit nach oben und man fängt an sich selbst und das Vorhaben mit einer gewissen Selbstironie zu betrachten, was das ganze natürlich zu einer ziemlich witzigen Angelegenheit macht, jedenfalls für einen selbst.
Als ich dann nachmittags nach fast 18 km in Rädigke auf dem Gasthof Moritz ankam, wars allerdings nicht mehr weit her mit dem Humor. Nur weil man auf Arbeit viel hin- und herrennt, heißt das nicht automatisch, dass man das im Schnee mit schwerem Rucksack auch lange durchhält. So konnte ich auch leider nicht mehr gebührlich die familiäre Gastfreundschaft des Wirtsehepaares in Anspruch nehmen, sondern fiel ziemlich geplättet von dem Tag, mir selbst und meiner Verrücktheit ins Bett.
Frisch und munter gings am nächsten Tag weiter auf einen „kleinen“ Abstecher nach Niemegk.
Dieser „kleine“ Abstecher machte meine (eigentlich gemütliche) zweite Etappe von 18 km zu einem 27km-Marsch. Nichtsdestotrotz wurde es ein herrlicher, sonniger Tag, der mich durch die Neuendorfer Rummel nach Garrey, zurück nach Rädigke, am Quellsumpf der Plane zum Etappenziel, die Burg Rabenstein, führte.
[Die Rummel ist ein Produkt der Weichseleiszeit, deren Gletscher zwar nicht bis in den Fläming ragten, aber den Boden dort im Dauerfrost hielt. So konnte das Schmelzwasser der Gletscher nicht versickert, sondern floss frei übers Gelände und spülte diese Furchen aus, die sich heute an regnerischen Tagen oder im Frühling zur Schneeschmelze immer mal wieder gern in reißende Bäche verwandeln. Mein Wanderweg führte mich durch eine der berühmtesten im Fläming. Ausführliche Dokumentation dazu siehe Video! ;)]
Als ich nach diesem, wie mir zu diesem Zeitpunkt längst klar war, nicht wirklich kleinen Abstecher gegen 16 Uhr wieder in Rädigke ankam und wusste, jetzt beginnt erst die eigentliche Strecke in Richtung der nächsten Herberge, verließ mich zum ersten Mal so richtig die Motivation, der Mut, die gute Laune und all der andere Kram, der einen beim schnellen Vorankommen immer sehr unterstützt hatte. Dementsprechend wenig konnte ich also die natürliche Schönheit des Naturschutzgebiets Planetal würdigen, durch das ich dann lief. Den Tagestiefpunkt erreichte ich, als mein Weg Teil des Sumpfgebiets wurde und ich Gefahr lief meinen Schuh in der eisigen Matsche zu lassen. Ein Glück, dass ich alleine unterwegs war! Und bis auf ein paar Rehe und Vögel wird wohl niemand das Bedürfnis gehabt haben, sich nach meinem Gezeter (Zitat:) "das Gehirn auswaschen" zu wollen.
Als ich dann endlich gegen Abend das Dorf Raben und wenig später die Burg Rabenstein erreicht hatte, wars selbst mit dem Geschimpfe auf der vereisten Straße hoch zur Burg nicht mehr weit her. Dementsprechend froh war ich dann über meine eigene kleine Dachkammer, die man mir notdürftig zur Verfügung gestellt hatte. Denn eigentlich war die Herberge ausgebucht, und ich hatte für die eine Nacht zum vergünstigten Preis die unbeheizte Personalkammer bekommen. Aber die Wirtin hatte vorgesorgt und mir gegen die klirrende Kälte von minus 16°C einen mobilen E-Heizer ins Zimmer gestellt.
Am nächsten Morgen ging es dann frisch gestärkt vom bombastischen Frühstück und nach einer Besichtigungstour durch die Burg inkl. Turm weiter in Richtung Norden mit dem Tagesziel Neuehütten bei Wiesenburg.
Es wurde ein langer Tag mit viel Wind und ein bisschen Sonne, den ich aber im Großen und Ganzen(bis auf eine Grusel-Attacke, die sich dann als Reh rausstellte) sehr genossen habe. Das Schloss Wiesenburg mit ausgedehnter Parkanlage konnte ich dann am Ende des Marsches leider nicht mehr wirklich genießen, da ich einfach nur ankommen wollte, zumal so ein Schlosspark wohl eher was für den Sommer ist.
Nach einer kurzen Nacht in einer Privatpension gings weiter nach Norden. Auf dem Weg in der Nähe von Görzke kam ich mitten im Wald an einer Kirchruine aus dem 14. Jahrhundert vorbei. Es war schon ein ziemlich unwirkliches Gefühl, dass da mitten im Nirgendwo vor 700 Jahren mal ein belebtes Dorf existierte. (s. dazu zwei Videosequenzen: Video1 & Video2) Dass dieser Tag der längste mit 30km sein würde, wusste ich schon während der Planung. Dass ich mich aber so derartig übernehmen würde, hätt ich nicht gedacht. Zum Thema körperliche Verfassung hatte ich mir an dem Abend nur notiert: "total, absolutly im Arsch"... Naja, die Strecke hab ich trotzdem geschafft, mit viel innerem Mantra à la "Du schaffst das"; "Nur noch das eine Dorf"; "Nur noch 3km!!!"....etc. Und zum Glück war am nächsten Tag auch nicht Wandern sondern Pause angesagt.
Ich übernachtete nämlich in Ziesar, die wohl eine sehenswerte Burganlage hätten und dafür wollte ich mir Zeit nehmen. Dass ich diese Pause bitte nötig haben würde, hatte ich während der Planung natürlich nicht ahnen können.
Die Burganlage entpuppte sich dann am nächsten Morgen als kleine ehemalige Bischofsresidenz, die aber trotzdem mit Kapelle und Bergfried ganz interessant war.
Nach dem einen Tag an ein und demselben Ort juckte es mir aber schon in den Füßen und ich wollte weiter. Also, Blasenpflaster rauf und los gehts!!
Nach dieser Hammertour am Vortag kam mir die nächste Etappe mit ihren 22km fast läppisch vor, und ich kam auch ziemlich fix in Großbriesen, meinem nächsten Zwischenstopp, an. Hier übernachtete ich auf einem Reiterhof, und wenn ich auf eben solch einem gerade bin, muss ich das doch ausnutzen, hab ich mir gesagt. Also hab ich noch einen Pausetag eingelegt und für einen Tag die Wanderklamotten gegen Reitersachen eingetauscht.
Ich hatte einen witzigen Reittag inmitten des Kinderreiterferiengeschehens mit Vollprogramm, der so schnell vorbei ging, dass ich am nächsten Morgen zur Abreise zum ersten Mal ein bisschen wehmütig wurde, und eigentlich noch gar nicht loslaufen wollte.
Es war aber mein letzter Wandertag, das Geld war fast alle und noch dazu musste ich mich sputen, weil ich eine ca. 29km lange Tour vor mir hatte (und nach ‚Tag 4‘ wusste ich ja nun, was da auf mich zukommt). Zusätzlich wurde noch für den Nachmittag eine Unwetterwarnung für die Gegend rausgegeben.
Es hatte in der Nacht schon ca. 20cm Neuschnee gegeben, den ich beim Loslaufen völlig unterschätzt hatte.(und noch eine kurze Sequenz dazu aus dem Munde der Autorin) So wurde aus dem letzten Tag nochmal ein sehr anstrengender Trip, bei dem ich immer wieder zur Abkürzung auf die Straße ausgewichen bin, weil ich Sorge hatte, dass ich auf halber Strecke mitten im Wald vom Schneesturm überrascht werde.
Trotzdem hatte ich noch ein paar schöne Momente, als ich für etwa zwei Stunden einem kleinen Bachlauf gefolgt bin, an dessen Seite es im Sommer bestimmt nur einen kleinen Trampelpfad gab, im Winter hingegen unberührten Tiefschnee. Inzwischen hatte ich mich auch an das Laufen in wadentiefem Schnee gewöhnt.(s. hierzu kleines Video)
Durch die vielen Abkürzungen hatte ich die Strecke von 29 auf 22 km reduziert und ich kam gegen 17 Uhr in Bad Belzig an. Zu dem Zeitpunkt gabs zwar immer noch keinen Schneesturm aber zumindest einen fiesen, kalten Schneewind. Eigentlich war geplant, dass ich noch eine Nacht in Bad Belzig verbringe, mir am nächsten Tag die Burg Eisenhardt angucken, danach zum Abschluss in die neue Therme gehe und dann abends wieder zurück nach Berlin fahre. Als ich dann aber die Wandertour hinter mir hatte und den Bahnhof vor der Nase, waren mit Burg und Therme plötzlich wurscht und die Heimat rief. Also flux nen Ticket gekauft und ab zurück nach Berlin! Es war schön, aber man solls ja nicht übertreiben.
Abschließend kann man sagen, dass so eine Wandertour ganz alleine ein absolutes Erlebnis ist, dass ich von nun an regelmäßig zu tun gedenke. Man hat danach wieder den Kopf frei, weil man ja den lieben langen Tag nichts anderes gemacht hat, als die Gedanken zu sortieren, so kams mir jedenfalls vor.
Und ein weiteres, eher inoffizielles Ziel ist auch geschafft: Ich weiß wo meine momentane körperliche Grenze ist, und zwar bei 30km am Tag mit Rucksack und Schnee...ich schreib „momentan“, weil das auf alle Fälle noch ausbaufähig ist. ;)
Mit diesen hochtrabenden Worten schließe ich,
Anna!