Affensteine und ein Geist
Es ist Freitag, die Woche ist vorbei und im Auto sitzen Kritze und Otto. In den Affensteinen stehen die Objekte der Begierde. Der Schandauer Turm und die Bergfriednadel fehlen noch und erzeugen so etwas wie subtile Prüfungsangst. Bisher war das Wetter ein guter Grund, den unter dem Frienstein stehenden und vom Sonnenlicht weitestgehend verschont bleibenden Haufen, nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Nachdem die Woche mit sommerlichen Temperaturen und ohne Niederschläge gute Bedingungen versprach, wollte sich Otto das ganze mal aus der Nähe anschauen. Umso erstaunter waren wir als wir im Kirnitzschtal feststellen mussten, dass auf der Strasse und den Wegen Feuchtigkeit sichtbar war. Wir stolpern zur Boofe am alten Wildenstein und verbringen dort den Abend. Der Fels ist trocken. Hoffnung macht sich breit.
Der nächste Morgen wird durch Ottos Wecker eingeläutet. Wer keine innere Uhr hat oder diese nicht hören mag, muss halt zu digitalen Hilfsmitteln greifen. Kompromisse an die Tagesziele.
Ok, Frühstück, die Sonne lacht und während Otto den Zweitkaffee brüht beschließe ich mit Kritze die zum greifen nahe Heidewand über den schönen Südkamin zu begehen. Kennt der Kritze noch nicht und lockert vielleicht die spürbare Nervosität ob des anstehenden Tagesprogrammes. Nebenan wird auch schon geklettert, also flink angezogen und los. Als ich auf halber Höhe nach unten schaue sehe ich am Wandfuß zwei Rentner die fröhlich grüßen. Es folgt gebietstypischer Smalltalk und kurz danach sitze ich auf dem sonnigen Gipfel und hole das Seil ein. Beim Blick in den Kamin entdecke ich dann nicht Kritze, sondern einen bisher noch nicht in Erscheinung getretenen älteren Herren, der bereits die Einstiegswand seilfrei überwunden hat und mich neugierig begutachtet. Soso, Kritze kommt dann erwartungsgemäß rasch durch den Kamin. Grinsen, Sonne, super. Das einer der rüstigen Herren auf den Namen Horst hört, bleibt zunächst nur Randnotiz. Wir sitzen keine Minute als der erste Senior aus dem Kamin klettert. Aha, ohne Seil. Ein freundlicher Händedruck und Berg Frei. Dann wendet er sich über den Ausstieg hüpfend seinen Kameraden zu. „Der Heilmair würd sich im Grabe umdrehen, wenn der sieht was du hier bietest“, ruft er verschmitzt nach unten. Von dort tönt es „Der würd auch schimpfen, weil ich ne Schlinge gelegt hab.“ „Ähh, die liegt gor nisch im Weg!“ Beide lachen. Kritze und ich fühlen uns super unterhalten. Während die Seilschaft durch den Kamin schrubbt schreiben wir uns schon mal kurz ein, der Sologänger gesellt sich zu uns und übernimmt das Buch. Mit dem mittlerweile auf dem Gipfel erschienenem Vorsteiger inspizieren sie die Eintragungen. Hier und da wird kommentiert und geschmunzelt. Ich entdecke eine in fast jedem Gipfelbuch stehende, signifikante Unterschrift und frage vorsichtig nach, ob dies der Grund der Heiterkeit sei. Als dies vehement verneint wird, keimt der Verdacht mit wem wir hier in der Sonne sitzen. Nach seiner Eintragung herrscht dann Klarheit und ein paar Anekdoten über Jahreszweite im Schnee (ist mir passiert) und Anrufe von ihm bei Freunden, wenn die mal schneller waren werden ausgetauscht. Ist super mal ein Gesicht zu der kalligraphischen Besonderheit in den Gipfelbüchern zu haben und zu sehen, dass es offensichtlich auch im Alter noch möglich ist mit Freunden Blödsinn quatschend durch den Wald zu ziehen. Großes Kino. Eigentlich kann der Tag nur noch schwerlich besser werden.
Kurz danach wandern wir mit leichtem Gepäck in Richtung Frienstein. Dort angekommen steht zuerst der Grottenwart auf der Liste. Ich mag den Weg und hab damit den Vorstieg gewonnen. Eine schöne Übung für Hacke-Spitze bietet sich im unteren Rissstück an, darüber der engere Kamin mit lustigem Einstieg. Vom Gipfel aus bin ich vor den Touristen unsichtbar geschützt, was für Kritze, der sich etwas müht, nicht gelten kann. Otto beantwortet geduldig die Fragen der staunenden Wanderer und wartet auf seinen Einsatz. Auf dem Gipfel schauen wir ins traumhaft schöne Rund, das nächste Ziel bleibt unseren Augen allerdings noch verborgen. Wir laufen am Friensteinwächter, der laut ruft, vorbei und zwischen Frienstein und kleinem Amboss hinab zum Schandauer Turm. Als begehbare Variante kommt für uns nur der „Kurze Aufstieg“ in Frage. Ein kurzer, aber grüner Kamin führt auf den Vorblock. Von dort dann der Übertritt in die Wand und mutig, und vermutlich sicherungsfrei, zum Ring. Wenn man den die Frage, ob es möglich ist alle Gipfel zu betreten und dabei seriös zu agieren bisher mit ja beantwortet hat, wird man vielleicht hier vor eine Prüfung gestellt. Wie fast immer ist es nicht unmöglich, klettern können wir das wohl. Allein die Vorstellung vor dem Ring ein Rad zu schlagen und der Wandbereich mit dem Landekreuz hemmen die Freude über erträgliche Verhältnisse auf der flechtigen Wand. Otto steigt ein und bastelt auf dem Vorblock Stand. Am Ort des Geschehens wird klar, dass der Verlauf des Weiterweges bei den ersten Zügen nicht sichtbar sein wird. Nach einigem probieren wird klar, es braucht gezielte Maßnahmen zur Dehydrationsprävention und einen Baumann. Zu dritt stehen wir auf dem Block, Kritze stützt Otto-der sich dadurch weiter in die Wand schieben kann und Höhe gewinnt. Kurzes sortieren und die Gewissheit, dass es runter sicherlich schwerer wird als hoch lassen Otto den Ring erreichen. Soweit, so gut. Nach dem Ring ein wenig Reibungsgeschleiche, was angesichts der Sicherung angenehm erscheint, und schneller als gedacht steht Otto auf dem Turm. Krasses Ding. Das im Jahre 1970 Horst Heller das Buch gelegt hat passt absolut. Vom Gipfel aus sehen wir eine Seilschaft in der Fabelverschneidung des Siefried. Der Weg ruft auch.
Nach dem Abseilen beschließen wir der Bergfriednadel einen Besuch abzustatten. Obwohl schon ein wenig angezählt möchten wir uns den AW anschauen. Vor Ort suchen wir erst mal den einzigen und nachträglich geschlagenen Ring in der Wand. Ogottogott. Steckt unsympathisch hoch das Eisen. Wenn ich mir vorstelle, dass hier jemand 1920 ohne Kenntnisse des Weges, mit bescheidener Ausrüstung und ohne die Sicherungsmöglichkeit des nR die Erstbesteigung gemacht hat überkommt mich Demut. Bis zur markanten Platte geht es für mich so leidlich. Die kommenden Meter zum Ring wirken sicherungsarm und nach einigem versuchen übergebe ich an Otto. Der ist bald darauf am Ring und erschließt uns diese traumhafte Wand. Keine bösen Stellen, gleichbleibend anspruchsvoll und immer eine Kelle wenn eine gebraucht wird. Auf dem Gipfel dämmert es und wir machen uns auf den Weg zur Boofe.
Der nächste Tag bricht dann ohne Wecker an, auch mal schön. Als Tagesziel wünsche ich mir die Gruppe um den Kuhstall. Nach kurzer Besichtigung der touristisch interessanten Ziele und einem genuscheltem Epilog zur Entstehungsgeschichte von Led Zeppelin Hits sitzen wir biertrinkend an der Baude und beobachten die Wespen beim Zersetzen des Dachstuhls. Wer ein überraschendes Kontrastprogramm sucht, dem sei ein Besuch auf der örtlichen Toilette empfohlen. Dicht dahinter steht im Schatten der sonnigen Zyklopenmauer der Ochsenkopf. Infolge der lang anhaltenden Trockenheit ist das Geläuf auch nur noch klamm, einer Erstürmung steht nichts mehr im Wege. Über den Nasenring erreichen wir den Gipfel, beobachtet von einer Gruppe distanzgeminderter, phonstarker Kindern, die unser Treiben von ihren Eltern kommentiert wissen möchten.
Der Blasketurm empfängt uns dann mit einem Hauch Wüstenluft. Als wir durch die kühle Schlucht um die Ecke biegen laufen wir fast gegen eine Wand. Das reicht auch mal aus um gar nicht erst einzusteigen. Bei der erneuten Flüssigkeitsaufnahme entscheiden wir zurück zu wandern und vielleicht noch mal am Soldatenriss zu gucken. Ein guter Plan. Das der nicht vollständig funktioniert, hat für Otto was mit Restfeuchte und und für mich mit Überleben wollen zu tun. Wir können ja wieder ḱommen….